Mobil oder verplant in der Autobauerstadt Wolfsburg?

Hallo zusammen,

nachdem die Arbeitnehmer im Wolfsburger VW-Werk mit der hauseigenen Musikkapelle in ihren verdienten Jahresurlaub geschickt werden, finden in den kommenden Wochen nicht nur innerhalb der Autofabrik viele Umbaumaßnahmen statt, sondern in der gesamten Autobauerstadt gibt es aktuell schon viele Baustellen. Die VW-Mitarbeiterzeitung des Betriebsrates füllt immer wieder ganze Seiten mit geplanter Optimierung für die Arbeitswege. Die Task-Force-Verkehr leistet dabei sicher gute Arbeit. Inwieweit die Alternativen mit dem Shuttlebussen oder die Smartphone-App für Radler angenommen werden, kann ich nicht beurteilen. Im Wesentlichen geht es den Verkehrsplanern darum, den Individualverkehr zu optimieren. Das klingt zwar selbstverständlich für eine Stadt, welche vom Automobilbau lebt, nur wird man damit jemals ernsthaft die Verkehrs-Probleme der Wolfsburger lösen?

Als Beispiel hier mal eine neue Autobahnabfahrt an der Autobahn A39. Vor vielen Jahren haben die Straßenplaner bei den Auf- und Abfahrten etwas gespart und nicht alle „Ohren“ wurden gebaut.  Somit kam es zu Rückstaus bei der Zufahrt in das VW-Werk. Nun wurde für die aus Richtung Süden kommenden Autofahrer die Abfahrt auf zwei Spuren erweitert, während auf der anderen Seite eine komplette neue Abfahrt gebaut (siehe Foto).

Wie man schön erkennen kann, soll schon nach wenigen 100 Metern eine neue Lichtzeichenanlage elektronisch den Verkehr regeln. Aber hilft’s was? Leider sehe ich auch hier nun regelmäßig Rückstaus auf die A39. Zwar nicht ganz so drastisch wie auf der anderen Autobahnseite, wo die neue zweispurige VW-Zufahrt offensichtlich kaum spürbar etwas bewirkt hat, aber auch hier fließt der Verkehr nicht. Schlimmer noch, die Autofahrer aus Richtung Gifhorn haben nun in Richtung Parkplatz Sandkamp eine weitere Ampelanlage auf ihrer Strecke! Ich frage mich: Wäre hier ein Kreisel nicht sinnvoller gewesen?!

Zufahrt Sandkamp

Ein weiteres Beispiel von einer scheinbar „endlosen“ Planung, kann man aktuell nahe der Wache Sandkamp bewundern. Hier soll der Verkehr aus dem Ortsteil zwar in Richtung Stadt ermöglicht werden, aber die VW-Mitarbeiter sollen nicht direkt zum Parkplatz abbiegen können. Denn dafür wurde letztes Jahr eine Zufahrt mit Ortsumgehung errichtet. Allerdings stellten sich viele Autofahrer quer und fuhren aus Gewohnheit weiterhin durch den Ortsteil um dann in waghalsigen Verkehrsmanövern doch nach links auf den VW-Parkplatz zu gelangen. Wer Spaß haben will, braucht sich nur ein paar Minuten am Tage dort hinzustellen und sieht jetzt waghalsige Wendemanöver aus Richtung Innenstadt. Dabei wäre die schöne neue Strecke (Parkplatzzufahrt/Ortsumgehung) nur ein paar Meter weiter.

Wolfsburg Schlosskreuzung

Die Großbaustelle am Wolfsburger Schloss soll zum Jahresbeginn 2015 fertig werden. Es kommen ebenfalls weitere Fahrspuren hinzu. Nur, wird der Verkehr dann flüssiger laufen zu den Stoßzeiten? Ich höre immer wieder die Aussage, dass ein Kreisel nur deshalb nicht infrage käme, weil man den ortsansässigen Autofahrern einen zweispurigen Kreisel nicht zutraue… Hat das vielleicht auch etwas mit dem vor vielen Jahren geopferten Bahnhofskreisel zu tun? Die noch relativ junge Stadt Wolfsburg wurde ja von Anfang an mit großzügigen Trassen für den Automobilverkehr bedacht, wie man anhand historischer Aufnahmen gut erkennen kann. Trotzdem wird man heute das Gefühl nicht los, immer schlechter mit dem PKW durch die Stadt zu kommen. Dies bestätigt für mich die Theorie: Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.

Kürzlich gab es wieder eine Konferenz zur Verkehrsinfrastruktur in der Region Braunschweig-Wolfsburg.  Dort hat ein gewisser Enak Ferlemann abermals vollmundig versprochen, dass man schon im Jahre 2016 mit dem ersten Spatenstich zum Neubau der A39 in unseren Abschnitt rechnen könne. Hatte er das nicht auch schon mal für 2013 vorausgesagt!?

Heinrich-Nordhoff-Str. Mittwoch 10 Uhr

Dieses Foto entstand einen Tag nach eben erwähnter Verkehrskonferenz mitten auf der noch 4-spurigen Heinrich-Nordhoff-Straße in Wolfsburg. Ist hier wirklich ein 6-spuriger Ausbau erforderlich? Es ist doch kaum sinnvoll, wenn die Pendler zu den kurzen Stoßzeiten dann in drei Reihen nebeneinander stehen, und man in der restlichen Zeit lustige Fotos auf leerem Asphalt machen kann!? Eine komplett separate Busspur würde da ja wohl deutlich mehr Sinn ergeben, damit der öffentliche Personenverkehr attraktiver wird und nicht ebenfalls im Stau steht.

E-Bike, Autostadt und VW-Werk

Wir haben also nicht zu wenig oder zu kleine Straßen, sondern oft fließt der Verkehr wegen ganz banalen, planerischer Fehler nicht. In einer Autostadt Wolfsburg fällt es den Verantwortlichen scheinbar nicht so leicht umzudenken, trotzdem müssen sich die Stadt und auch Volkswagen in den kommenden Jahren extrem anstrengen, um nicht den Anschluss zu verpassen. Google ist mit autonomen Fahrzeugen so mancher Entwicklung schon weit voraus, und selbst bei der Elektromobilität sollte VW den Biedermann-Anzug schnellstmöglich ablegen. Der Konzern baut Elektromotoren in konventionelle PKW ein – warum nicht ein Auto um einen Elektromotor herum bauen? Gestern bin ich den Renault Zoe gefahren und er hat mich begeistert. Nicht nur preislich attraktiv, sondern auch das Konzept mit dem Miet-Akku überzeugt mich. Wieso sollte man sich auch so teure Akkumulatoren als Kunde kaufen müssen?

Bokensdorf-Wolfsburg-Bokensdorf

Der Selbstversuch: Vor einem Jahr habe ich angefangen meine 24 Kilometer Arbeitsweg (hin- und zurück) mit dem Rad zur Arbeit zu fahren. Auch mir fiel und fällt immer noch ein Umdenken schwer, trotzdem habe ich mittlerweile über 1000 Kilometer abgeradelt. Mit dem Auto dauert eine Strecke ca. 15 Minuten (Anfahrt: 9:00Uhr u. Abfahrt: 17:30Uhr) und mit dem Rad bin ich 30 Minuten unterwegs. Mit einem 45er E-Bike habe ich die Strecke schon in 20 Minuten geschafft. Zu den Hauptverkehrszeiten wäre ich damit auf jeden Fall schneller am Arbeitsplatz als mit dem PKW. Nur leider sind die Radwege in und rund um die Autostadt nicht gerade in einem guten Zustand. Damit meine ich eher nicht die Bausubstanz, sondern auch die Bauart: Hohe Bordsteinkanten, große unnötige Kurven oder unverhältnismäßige lange Wartezeiten an den Ampeln. Denn Radschnellwege sieht das derzeit gültige deutsche Regelwerk zum Straßenbau leider nicht vor… Die zweite Stufe zum Selbstversuch startet in der kommenden Woche. Dann geht es zum ersten Mal mit der Bahn statt mit dem Auto in den Familienurlaub an den Bodensee.

Ich glaube man muss schon hier in der Gegend aufgewachsen sein, um zu verstehen warum sich viele Mitbürger hier so schwer tun, über den Tellerrand der AUTOmobilität hinaus zu schauen. In meinen 18 Jahren im Kundendienst eines Volkswagen Autohauses habe ich viele Menschen kennengelernt, für die mit dem Ausfall des liebsten PKW die Welt zusammen gebrochen ist. „Wie komme ich denn jetzt nach Hause?“ war noch eine der harmlosesten Fragen. Aber vielleicht muss man als Deutscher so autoverrückt sein, um die besten Autos der Welt zu bauen!?

PS: Wie viel mehr könnten wir in und um Wolfsburg unsere Autos genießen, wenn wir sie auch mal zu Hause lassen, und z. B. den Weg zur Arbeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen würden…

Einen schönen Urlaub,

Norbert Schulze

Mitglied der Bürgerinitiative Natürlich Boldecker Land http://www.VernunftBuerger.de

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