Antiwissenschaftliches Dumpfbackentum
Smartphones und insbesondere die Algorithmen der sozialen Netzwerke haben uns in den letzten Jahren ein antiwissenschaftliches Dumpfbackentum beschert, das für mich kaum auszuhalten ist. Es soll sogar mittlerweile wieder eine nicht geringe Zahl von Menschen geben, die unseren Planeten als Scheibe betrachtet…
Realität und die Wahrnehmung in der Bevölkerung
Eine große Mitverantwortung sehe ich bei den Medien mit ihrer oft zu gut gemeinten „Ausgewogenen Darstellung“. Da nimmt man dann zu einem Thema eine Wissenschaftlerin, zwei Leute aus der Politik und einen rhetorisch geschulten Populisten mit einer völlig abweichenden Meinung. Laut Wissenschaft regnet es draußen. Die Politik möchte niemanden auf die Füße treten. Der Populist redet von strahlender Sonne. Da die Leute Sonnenschein mögen und der Populist charmant formuliert, verliert die Wissenschaftlerin mit den schlechten Nachrichten an Zuspruch. Vor der Sendung sind noch 99 Prozent der Leute vom Regenwetter überzeugt. Danach zweifeln 50 Prozent an dieser Tatsache. Würden dagegen Medienvertreter:innen und auch die Zweifler:innen einfach nur aus dem Fenster schauen, dann hätte sich jede Diskussion erübrigt.
Informationsflut als Problem?
Früher dachte man ein Mangel an Information ist für den Bildungsgrad der Menschen verantwortlich, heute weiß man es besser. Die Menschen werden von allen Seiten zugeschüttet mit Informationen. Mal eine ehrliche Frage: Hat irgendwann einmal jemanden interessiert, von welchem Hersteller das Zeug in der Tetanusspritze ist? Nein, hat es nicht, und es wahr auch egal, man wusste um die Gefahren einer Infektion und vertraute seiner Ärztin. So einfach war die Welt einmal! Heute scheint eine Reihe verunsicherter Menschen der studierten medizinischen Fachkraft weniger zu vertrauen als Telegram, Facebook oder WhatsApp?
Ein gesellschaftliches Problem
Bei der aktuellen Diskussion zu dem richtigen Umgang mit der Corona-Pandemie wurde das in den letzten zwei Jahren mehr als deutlich. Ein Infektionsschutzgesetz trat erst am 01.02.2021 in Kraft. Für meinen Teil war ich davon ausgegangen, wir hätten solche essenziellen Regelwerke zum Umgang mit gemeingefährlichen und hochansteckenden Krankheiten bei Menschen schon seit vielen Jahren in irgendeinem Gesetz stehen. Warum habe ich denn als Kind und später als Jugendlicher noch mit einem Skalpell diese zwei Schlitze in meinen Oberarmen bekommen!? Eine Impfpflicht kann auch eine Entscheidungshilfe sein. Wenn man dagegen bei den Menschen mit vielen unterschiedlichen Meinungen und Empfehlungen Zweifel sät, dann muss man sich über eine wachsende Anzahl von verwirrten Leuten nicht wundern.
Wissenschaft versus Lobbyismus
Wenn die Politik wissenschaftliche Erkenntnisse ignoriert oder sich lieber in die Hände von smarten Lobbyisten begibt, dann hat sie sich in einen Teufelskreis begeben. Jahrzehntelang wurde bei uns in unzähligen Wahlkämpfen von einer segensreichen Autobahn gesprochen. Erst danach hat es sich dogmatisch in den Köpfen vieler Menschen eingebrannt. Wie soll man nun die Menschen nun wieder zurückholen in die Realität? Jedem/jeder Verkehrswissenschaftler:in ist klar, dass mit neuen Fernstraßen keine spürbare Entlastung in der Region erreicht werden kann, weil eine Autobahn mit weit auseinanderliegenden Anschlussstellen eben keine Umgehungsstraße ist. Dabei klingt es so logisch, neue Straßen bedeuten neue Autos. Wenn vor meinem Haus der Regionalverkehr nervt, dann wünsche ich mir doch nicht hinter meinem Haus noch ein Vielfaches an Fernverkehr! Stress durch zusätzlichen Lärm kann man dann nicht mal mehr durch Spaziergänge oder sportliche Aktivitäten in der Umgebung abbauen, weil die Bewegungsfreiheit durch solche großen Betonbauten stark eingegrenzt wird.
Mehr Vertrauen in die Wissenschaft
In meiner Kindheit war die Welt voller Entdeckungen und es war gesellschaftlicher Konsens, dass es im Jahre 2020 kein Öl mehr geben wird. Man hätte einem damals für schwachsinnig erklärt, wenn man erzählt hätte, mit was für Spritschleudern die Menschheit im nächsten Jahrtausend ihre Kinder zur nahen Schule fährt. Impfungen gegen Pocken oder Kinderlähmung galten damals als segensreiche Erfindungen. Man hatte Vertrauen zu den Frauen und Männern in Weiß. Heute scheinen bestimmte Leute mehr Vertrauen ins Smartphone zu haben. Hier muss ein Umdenken her. Wir sollten uns wieder mehr auf uns selbst und unser reales Umfeld besinnen und weniger von asozialen Hetzwerken beeinflussen lassen. Wissenschaft besteht aus Versuch, Irrtum und Korrektur, sie ist nicht immer einfach zu verstehen. Gerade bei den naturwissenschaftlichen Fächern hatte auch ich in der Schule manchmal schwere Augenlider. Dennoch gibt es immer wieder großartigen Nachwuchs mit großartigen Erfindungen. Wir brauchen einfach wieder mehr Vertrauen in die Wissenschaft.
Quellen: Lage der Nation LdN265
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